Mit diesen 7 Regeln gewinnt man jede Wahl
Nun haben also die Tschechen gewählt. Noch vor einem Jahr ging ich ein paar Tage vor der US-amerikanischen Präsidentenwahl der Frage nach, welche Faktoren einen Sieg Donald Trumps begünstigen. Die im Text Self me, Baby aufgestellten Thesen haben sich inzwischen als so belastbar erwiesen, dass sich daraus ein einfaches Regelwerk für den sicheren Wahlsieg ableiten lässt. Es ist also Zeit für Self me, Baby! Teil 2 – die praktische Anleitung zum Nachmachen.
Es ist eine taktische Blaupause, die überall die exakt gleichen Mechanismen einsetzt. Je mehr davon zum Einsatz kommen, desto sicherer der Erfolg. Weltweit sorgen sie bisher trotz einer empörten Bildungsschicht für eine stabile Machtbasis. Ein Schlüsselfaktor ist dabei, die vierte Macht – die freie Presse – auszuhebeln und zu deligitimieren. Bleiben noch die Legislative, die Judikative und die Exekutive. Auch sie wanken, schleifen, werden in der Folge leichter zu behindern. Das gilt von Trumps USA, vom Brexit bis zur Türkei, von Russland bis China, Katalonien, Norditalien bis über Polen, Ungarn und Österreich und nun Tschechien. Und selbstverständlich gilt das auch für uns in Deutschland.
Ein neuer Wählertyp: Der Wahlzombie
1. Der neue Wähler wählt keine Programme mehr, sondern nur sich selbst
Der Wahlzombie, kurz Wombie, verfügt nur noch über eine ausgesprochen eingeschränkte Wahrnehmung, wie in Teil 1 beschrieben. In dieser Welt kreisen alle Gedanken vor allem um sich selbst, Selbstbestätigung und eine Meinungsvielfalt, die auf den Radius einer Erbse zusammenschnurrt. Die unendliche Komplexität des Weltgeschehens passt nicht in diese Erbse. Man selbst und die Peer-Group schon.
2. 100 % Konzentration auf Ausländer
Aus diesem Grund ist der Ausländer das Thema der Wahl. Entscheidend für den Wahlerfolg ist dabei, keine anderen Themen zuzulassen. Sie machen Erklärungen nötig, die den Wombie nur verwirren und abstoßen. So aber kann er endlich mitreden. Das Thema ermächtigt also den Wahlzombie. Es gibt ihm eine konkrete Handlungsmöglichkeit gegen die Bedrohung seiner Selbstzentriertheit.
Der bewährte Vorteil dieser radikalen Themenvereinfachung ist der, dass alle anderen Parteien und die Presse sich reflexartig darauf einschwingen, sobald man damit beginnt. Stellvertretend und ergänzend passen als Feindbilder zu den ausländischen Invasoren auch Finanzinvasoren, die Globalisierung, die fremdbestimmende und gefräßige EU oder Handelsabkommen mit anderen Ländern. In allen Fällen bestimmt man mit 100-prozentiger Zuverlässigkeit das Wahlkampfthema und erzeugt durch die vielen Kopisten ein Umfeld, aus dem nur das Original als Sieger hervorgeht.
3. Die Presse lügt
Dies ist ein ganz essentieller Bestandteil einer jeden Kampagne. Ein Klassiker, der von allen Kampagnen zentral eingesetzt wird. Diese Technik bereitet den Boden für eine frei wählbare Parallelwelt, die beliebig lange aufrecht erhalten werden kann. Sie fordert eine Ersatzreligion ein, die den Fakt durch den Glauben ersetzt. Dazu muss man vor allem den Beruf des Journalisten diskreditieren. Das Werkzeug der Recherche wird ersetzt durch das scheinbar ebenbürtige Werkzeug des Glaubens. „Believe me!“ sagt Trump.
Tatsächlich ist es so, dass je länger die Lügengeschichte erzählt wird, desto mehr wird sie geglaubt. Das ist in der Türkei so, das ist in Trumps Amerika so, das ist in Tschechien so, und es ist eines der Schlüsselinstrumente der AfD.
Am Ende bejubelt der Zombiewähler die Abschaffung der unabhängigen Presse. Das wiederum ist die notwendige Voraussetzung für die Entmachtung des Parlaments und die Einsetzung der Diktatur.
4. Social Media sind das Leitmedium
Der Wahlzombie als um sich selbst kreisendes Wesen möchte keine Information, sondern Bestätigung. Bestätigung findet er nicht oft genug in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung, nicht einmal in den privaten Medien. Bestätigung findet er in den Sozialen Medien. Dort werden er, seine Fotos und seine Meinung gemocht. Dort sieht er die Fundstücke aus Medien, die er mag. Dort lebt er in einer selbstbestätigenden Blase ohne echte belastende Information. Das erzeugt eine Beweislage, die belegt, dass die Presse lügt. Und weil die Presse lügt, braucht er andere Wege zur Wahrheit. Die Wahrheiten der Zombiefänger treffen hier mit ihren Kampagnen auf dankbaren Nährboden. Die politischen Gegner haben keine Wahrheiten, sondern nur Programme und Analysen. Programme und Analysen sind aber bekanntermaßen Lügen. Sie können keine Bestätigung bieten.
5. Lügen bis die Balken biegen
Die konsequente Lüge spannt den Rahmen auf, in dem sich alle Wahrheit relativiert. Nur so erzeugt sie das Wirklichkeitsvernebelungsfeld, in dem die Punkte 3 und 4 ihre Wirkung erst entfalten können. Es gilt, sich im Idealfall diametral zur Wirklichkeit aufzustellen. Dieses Mittel sorgt zuverlässig für zunehmende Gleichgültigkeit und Immunität in der Bevölkerung gegenüber der sogenannten Wahrheit. Schließlich „weiß man doch gar nicht mehr, wem man noch glauben soll. Und ein Körnchen Wahrheit wird da schon dran sein.“ Ganz nebenbei sorgt diese Technik für steigende Sympathiewerte: „Der sagt halt, was er denkt. Das finde ich gut.“ Mit der Zeit unterminiert die Methode jegliche Bewertungskompetenz des Wombies. Genau das ist das Ziel. Dieses Ziel ist langfristig ausgelegt – es wirkt für diese und noch kommende Wahlen.
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6. Gegen das Establishment
Wer ins Feld führen kann, er wolle auf der Seite der Schwachen gegen „die da oben“ kämpfen, der hat schon gewonnen. Da es vor allem darum geht, die Wahlzombies zu mobilisieren, ist eine Haltung gegen das sogenannte Establishment äußerst vorteilhaft. (Aus dieser Gruppe kommen die größten Zuwächse – alle anderen sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und gehen gar nicht erst zur Wahl (s. 64 % der 18- bis 24-Jährigen, 42 % der bis 34-Jährigen beim Brexit-Votum, 40 % Wahlbeteiligung beim Katalonien-Referendum)). Wie die Vergangenheit gezeigt hat, funktioniert es aber nicht, wenn ein Arbeiter, Lehrer oder gelernter Anwalt gegen das Establishment wettert. Er muss paradoxerweise selbst das Establishment sein. Trump und Tschechiens Babis kombinierten diese Rhetorik mit dem Versprechen, das Land wie eine Firma zu führen. Das ist erwiesenermaßen so attraktiv, dass man diese Methode unbedingt nutzen sollte.
Es ist dabei nur konsequent, dass diese Akteure mit ihrer Regentschaft ausschließlich eigene Ziele verfolgen. Genau so tickt schließlich sein Wähler. Der Regent bietet also eine nur scheinbar paradoxe Identifikationsfläche.
7. Lossagen vom Rest
Der Kreis schließt sich konsequent, wenn man der Zielgruppe eine Belohnung in Aussicht stellt. Die Zielgruppe ist der beleidigte, selbstverliebte Wahlzombie. Eine Belohung ist es für ihn, wenn ein Anführer endlich versteht, wie besonders er ist. Dafür erkämpft er sich auch das Selfie mit dem Diktator.
Sichtbarer Ausdruck dieser Haltung ist es, zu betonen, wie besonders und viel besser als der Rest man ist. Dazu braucht es ein klares Feindbild. Dazu sollten im Allgemeinen die Ausländer herhalten (s. Punkt 2). Ergänzend hierzu ist hierzulande meist die EU das beste Feindbild. Schließlich entscheiden „die da oben in Brüssel“ alles in Geheimzirkeln und sind damit auch dafür verantwortlich, dass wir gerade von Ausländern „überrollt“ werden. Da sich kaum jemand mit der EU auskennt, ist dieses Thema außerdem ideal geeignet, Lügen aller Art über sie zu verbreiten (s. Punkt 5).
Früher sagten nur die Bayern „Mir san mir!“. Heute sagen es alle. So wie das Selfie das vorherrschende Bildmotiv der digitalen Zeit ist, ist das politische Abbild davon der Anspruch auf Autonomie, also nur noch man selbst zu sein.
Diese Entwicklung ist auch der Motor hinter zunehmenden Klein- und Kleinststaatenbemühungen, von denen wir in der Zukunft noch mehr sehen werden. Sie besteht darin, sich nicht aus einem Staatenbund zu lösen, sondern darin, sich von dem Land abspalten zu wollen, zu dem man gehört. So machen es heute die Katalanen vor, und darum geht es auch einigen italienischen Provinzen.
(Nachtrag: Jakob Augstein erkennt und befürwortet in seiner Spiegel-Kolumne exakt diese Entwicklung.)
In der Gegenwart wie in der Zukunft werden die erfolgreichsten politischen Kampagnen dieses Regelwerk nutzen. Die Folge werden Bestrebungen nach immer kleineren Gemeinschaften und Staatengebilden sein.
Erst das Scheitern des Selbst wird diesem Trend ein Ende setzen.
Die digitale Zeit erreicht nach einer technischen Dimension inzwischen eine ernsthafte gesellschaftliche. Sie stellt das Ich ins Zentrum aller Wirksamkeit. Die nächste gesellschaftliche Auseinandersetzung führt zu weiterer Fragmentierung und Fraktalisierung im Sinne der Selbstähnlichkeit an. Fragmentierte und fraktale Gebilde sind aber nicht selbsttragend, da sie zu klein sind, um wirtschaftlich oder gesellschaftlich funktionierende Gemeinschaften zu befördern.
Es ist zu erwarten, dass diese Entwicklung gesellschaftliche Revolutionen in zwei Wellen mit sich bringt. Ihr Ausgang ist heute noch nicht absehbar.
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