Die Entdeckung und Beibehaltung von Musik durch frühe Menschen hat klare evolutionär sinnvolle Gründe – sonst wäre sie nicht vererbt worden.
Unklar ist, wo sie herkommt. Gestritten wird auch noch über den Sinn. Steven Pinker hielt Musik für Cheesecake– ein evolutionär unsinniges Instrumentarium, das anders als Sprache und die Entwicklung aller weiteren Sinne für Kommunikation und Verfeinerung des Handwerks, vor allem Schalter für die Dopaminausschüttung bereitstellt.
Andere nehmen an, Musik könne sogar ein Wegbereiter für Sprache gewesen sein. Einige der ältesten menschlichen Artefakte sind immerhin Flöten (aus dem Oberschenkelknochen eines (inzwischen ausgerotteten) Bären). Diese Flöte ist etwa 50.000 Jahre alt – und mit seinem vergleichsweise hohen Entwicklungsgrad wohl kaum das älteste Musikinstrument.
Bemerkenswert ist ebenfalls die entscheidende Rolle des Kleinhirns bei der primären Verarbeitung von Musik. Das Kleinhirn steuert unter anderem rhythmisch wiederkehrende Prozesse, die dafür sorgen, dass wir uns gleichmäßig bewegen können. Es ist ebenfalls an der Vorhersage solcher wiederkehrenden Prozesse beteiligt.
Das Kleinhirn sorgt für die Ausschüttung von Dopamin, wenn es Rhythmen in der Musik korrekt vorhersagen kann. (Siehe S. Edelman, 2012: Das Gehirn als Generator der Realität wenn es vor allem damit beschäftigt ist, den nächsten Moment vorherzusagen.) Das einfachste Instrumentarium dafür scheint das Kleinhirn (auch Reptilienhirn) vorzuhalten. Das Kleinhirn ist also eines der entscheidenden und am weitesten verbreiteten Hirnregionen, aus denen sich alles weitere entwickelt hat.
Das Kleinhirn ist außerdem der erste Ansprechpartner, der auf Musik reagiert, bevor es die Ergebnisse dieser Verarbeitung weiterreicht an die höheren Hirnregionen (D. Levitin, 2006).
Damit im Einklang steht die Entwicklung und die Tradition von Musik mit Bewegung. Bevor sich die „Gelehrtenkultur“ für Musik (vermutlich unter christlichem Einfluss) ausbreitete und Musikexperten für Laien „Zuhörmusik“ machten, war Musik überall und zu jeder Zeit Bewegungsmusik, an der jeder teilhatte.
Die Funktion als sozialer Kitt ist hier offensichtlich.
Szenenwechsel: Die anthropologische Forschung steht vor einem weiteren Rätsel, was die frühsteinzeitliche Werkzeugproduktion im Olorgesailie-Becken angeht. Dort haben Frühmenschen (Homo Erectus oder Ergaster oder andere: bisher existiert nur ein bruchstückhafter Fund, und der ist mehrdeutig) vor etwa 1,2 Mio. bis vor etwa 490.000 Jahren Steinwerkzeuge hergestellt.
Diese Werkzeuge stellte man in organisierter Form her. Es war eine riesige Fabrik, die erstaunliche 700.000 Jahre im Geschäft war.
Damals lag an dieser Stelle ein See, der zum Zeitpunkt, an dem die Produktion endete, begann auszutrocknen. Rund um diesen See gab es spezialisierte Werkstätten zum Beispiel für das Herstellen von Äxten, an anderer Stelle konnte man diese Äxte nachschärfen – hier lag bereits eine Art Arbeitsteilung vor.
Auffallend an den hier hergestellten Werkzeugen ist, dass sie nur wenig geeignet waren, irgendeine Aufgabe besonders gut zu bewerkstelligen. Die Werkzeuge brauchten einige Expertise und Zeit in der Herstellung, aber sie waren alle nicht sonderlich scharf.
Der nächste auffallende Punkt ist der, dass das Material für diese Werkzeuge nicht am See zu finden waren. Die verwendeten Quarze und Obsidiane gab es nicht direkt am See. Sie mussten von den Bergen Olorgesailie und Ol Esakut herbeigeschafft werden. Sie liegen laut Wikipedia 25-50 km entfernt.
Die Menschen die hier zusammenkamen, um relativ untaugliche Werkzeuge aus Steinen anzufertigen, die erst mit großem Aufwand herbeigeschleppt werden mussten, hatten das Gehirn eines Kleinkindes. Sie saßen 700.000 Jahre lang um einen See herum und klopften auf Steine.
Immer wieder gab es einen verbindenden Moment – nämlich dann, wenn mehrere Menschen im Gleichklang schlugen. Ich gehe nun davon aus, dass dies immer häufiger geschah und in immer größeren Gruppen. Das Kleinhirn stieß Dopamin aus – ein Lächeln entsteht auf den Gesichtern von Frühmenschen rund um einen großen See. Ein mächtiges Gefühl von Gemeinschaft entsteht, ein Wir.
Diese These behauptet nun, dass dies der Grund war, weshalb Homo Erectus 700.000 Jahre um diesen See saß und auf Steine drosch. Er hatte die Musik erfunden – und mit ihm das Gefühl der Gemeinschaft. Mit Musik hatte er eine neue gesellschaftliche Einheit geschaffen, die es vorher nicht gab. Eine, die jeder fühlen konnte, der ein Kleinhirn hatte, und der über die nötige Hand-Auge-Rhythmus-Koordination hatte, um mitzumachen. Er hatte eine neue Verbindung geschaffen, die Fernwirkung entfaltete – eine die rund um den gesamten See Bestand hatte.
Weil die Laufzeit des Schalls dabei eine verzögernde Wirkung hat, ist dies der Ort, an dem sich verschachtelte Rhythmik gleich zu Beginn mitentwickelt hat.
Was diese frühen Vorfahren schufen, das war nicht nur die größte und gewaltigste Steinfabrik, die die Menschheit je gesehen hat – es war das längste Festival in der Musikgeschichte. Und der Beginn dessen, was später im Kleinformat transportabel werden sollte und auf Familien- und Dorfebene zum identitätsstiftenden Ritual.
Die Zeit, die diese früheren Menschen auf diesem Riesenkonzert verbrachten, reichte um sich zunächst als Mem (Dawkins) weiterzuverbreiten und sich endlich über viele Generationen auch in die DNS einzuschreiben und Veränderungen im Gehirn zu manifestieren. Sie wurden zum Spielplatz für neue Repräsentationsmodelle, die höheren kognitiven und sozialen Prozessen den Weg bereiten konnten.
Als der See begann auszutrocknen, gab es möglicherweise schon Vermischungen mit Homo Sapiens und anderen und inzwischen anspruchsvolleren Hirnschaltungen, die nach neueren rhythmischen Formen suchten, als sie aufbrachen und weiterzogen, um aus dem hier Gelernten Sprache zu formen.
Die archaischen Formen, die hier im Olorgelaisie-Becken entwickelt wurden, blieben jedoch mit uns. Sie haben dieselbe Funktion wie damals. Sie identifizieren uns als Einheit, als ein Stamm. Sie sind die teils unveränderte Urform von Stammestänzen, Worksongs und Elektrofestivals.
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